
Der Einstieg in das Expositionsmanagement ist für Fachleute mit Hintergrund in Anwendungssicherheit sowohl spannend als auch herausfordernd.
Die Cybersicherheitsbranche befindet sich in einer Phase der Hypervisibilität, geprägt von einem Paradoxon: Unternehmen sind einer Flut an Schwachstellendaten ausgesetzt, während sie gleichzeitig grundlegenden Sicherheitsrisiken gegenüberstehen. Sicherheitsteams weltweit kämpfen mit der enormen Zahl neu veröffentlichter Schwachstellen, die allein im Jahr 2024 mit über 40.000 Neuentdeckungen einen historischen Höchststand erreichte und einen endlosen Strom von Warnmeldungen erzeugt.
Die Informationsmenge überfordert die Teams und erschwert es, Daten in umsetzbare Erkenntnisse zu verwandeln. Oft gelingt es nicht, Risiken angesichts der ständig wachsenden Bedrohungen effektiv zu priorisieren. Dieses Versagen führt zu Alarmmüdigkeit, überforderten Mitarbeitern und hohen Burnout-Raten unter SOC-Analysten.
Der Blogbeitrag von XM Cyber zeigt, warum klassisches Schwachstellenmanagement häufig nur begrenzt zur Risikominderung beiträgt. Zugleich erläutert er, wie die Perspektive eines Angreifers – zentral im modernen Expositionsmanagement – Sicherheitsteams dabei unterstützt, Fokus, Effizienz und Kontrolle zurückzugewinnen.
Wenn „kritisch“ alles und nichts bedeutet
Die Ursache des Problems liegt in der Priorisierung von Risiken. Über Jahre verließen sich Sicherheitsteams auf das Common Vulnerability Scoring System (CVSS) – ein Instrument, das zwar die technische Schwere einer Schwachstelle misst, nicht jedoch ihr tatsächliches kontextbezogenes Risiko.
Ein wesentliches Manko ist das statische Bewertungsmodell: CVSS-Werte werden bei der Veröffentlichung berechnet und bilden weder dynamisch neue Bedrohungsinformationen noch die Echtzeit-Entwicklung von Exploits oder die sich verändernde Komplexität von Angriffen ab. Ebenso fließen in die Bewertungen nicht die spezifischen Gegebenheiten der einzelnen Unternehmensumgebung ein, etwa die Kritikalität von Assets, vorhandene Schutzmaßnahmen oder Ausmaß der Exposition.
Dieser rein schwereorientierte Ansatz vernachlässigt den Kontext und bindet Sicherheitsressourcen an theoretisch kritische, in der Praxis jedoch oft irrelevante „Sackgassen“. Unter einer „Sackgasse“ versteht man eine Schwachstelle, die ein Angreifer nicht nutzen kann, um zu kritischen Ressourcen vorzudringen, und die daher keine reale Gefahr für sensible Daten oder Systeme des Unternehmens darstellt.
Das Kernproblem im Expositionsmanagement ist damit klar: Entscheidend ist nicht die isolierte Schwere einer Schwachstelle, sondern ob sie realistisch ausgenutzt werden kann, um etwas zu kompromittieren, das für das Geschäft tatsächlich von Bedeutung ist.
Das Handbuch des Angreifers: Exponierungen verketten, nicht CVEs scannen
Der Wandel vom Schwachstellen- zum Expositionsmanagement beginnt mit einer grundlegenden Perspektivänderung: die Infrastruktur durch die Augen eines Angreifers sehen. Angreifer folgen nicht CVSS-Werten, sondern dem Weg des geringsten Widerstands. Häufig sind es keine spektakulären Zero‑Days, sondern einfache Einstiegspunkte – ungepatchte Systeme, Fehlkonfigurationen oder abgegriffene Zugangsdaten –, die die Tür öffnen.
Schwere Sicherheitsvorfälle entstehen selten durch einen einzelnen gravierenden Exploit. Meist entfalten sie sich als kalkulierte Kette von Ausnutzungen: mehrere Schwachstellen mit niedrigem oder mittlerem Schweregrad – ein ungepatchter Server, eine falsch konfigurierte Identität, ein offener externer Port oder wiederverwendete Anmeldeinformationen – verbinden sich zu einem Pfad, der zu Eskalation, Persistenz und erheblichen Folgen führt. Einzelne Lücken wirken isoliert harmlos, in Kombination bilden sie jedoch den realen, durchgehenden Angriffsweg.
Dieser Fokus auf die Angriffskette verlangt einen ganzheitlichen Blick: nicht nur einzelne Sicherheitslücken betrachten, sondern die Verbindungen zwischen ihnen. Expositionsmanagement setzt genau hier an, indem es die Interaktionen zwischen Schwachstellen, Konfigurationen, Anmeldeinformationen und Identitäten analysiert. Wer versteht, welche Exponierungen laterale Bewegungen zu kritischen Ressourcen ermöglichen, verwandelt bloße Sichtbarkeit in verwertbare Prioritäten.
Statt vom „Risiko für Vermögenswerte“ (dieser Server ist verwundbar) auszugehen, rücken Unternehmen das „Risiko für kritische Vermögenswerte“ in den Mittelpunkt: Wie kann ein Angreifer an die sensible Datenbank gelangen? Diese Fragestellung verändert die Priorisierung: nicht alles muss repariert werden, sondern die Angriffswege mit dem höchsten Unternehmensrisiko. Durch die Modellierung der Beziehungen und das Erkennen von Konvergenzpunkten lassen sich genau jene Stellen identifizieren, an denen sich Angriffswege bündeln — und an denen sich Risiken am effizientesten reduzieren lassen.
Engpässe finden: Mit weniger mehr erreichen
Nicht jede Schwachstelle lässt sich beheben – und Angreifer nutzen auch nicht jede. Sie konzentrieren sich auf jene Punkte, die mehrere Wege zu wertvollen Zielen verbinden.
Solche Konvergenzpunkte oder Engpässe sind strategische Stellen, an denen sich mehrere Angriffspfade kreuzen. Durch das Schließen von Schwachstellen an diesen Schnittstellen – etwa einem falsch konfigurierten Administratorkonto, einem schwachen Identitätsanbieter oder einem zu großzügigen Netzwerksegment – können Unternehmen Dutzende oder sogar Hunderte potenzieller Angriffswege gleichzeitig unterbrechen.
Dieser Ansatz erhöht die Effizienz der Schwachstellenbehebung erheblich. Indem Sicherheitsteams sich auf den kleinen Teil der Schwachstellen konzentrieren, der die meisten Angriffswege blockiert, lassen sich Risiken signifikant reduzieren, während Aufwand und Belastung minimiert werden. Plattformen, die eine angreiferorientierte Priorisierung bieten, helfen, Angreifer zu stoppen, bevor sie kritische Ressourcen erreichen.
Kontinuierliches Expositionsmanagement: Ein neues Betriebsmodell
Expositionsmanagement ist kein einmaliges Projekt oder vierteljährlicher Bericht – es ist eine kontinuierliche Praxis. Die Angriffsfläche ändert sich täglich: neue Ressourcen kommen hinzu, Identitäten verschieben sich, Konfigurationen entwickeln sich weiter.
Unternehmen benötigen daher einen permanenten Überblick über ihre gesamte Umgebung – von internen und externen Systemen über Cloud-Umgebungen bis hin zu Identitätsebenen – sowie ein dynamisches Verständnis dafür, wie Expositionen miteinander interagieren.
Ein ausgereiftes Exposure-Management-Programm umfasst mehrere Schlüsselelemente:
-
Kontinuierliche Erfassung aller Ressourcen und Risiken
-
Kontextbezogene Analyse der Verbindungen zwischen Risiken und kritischen Ressourcen
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Angreiferorientierte Priorisierung als Leitfaden für Abhilfemaßnahmen
-
Validierung, um sicherzustellen, dass Maßnahmen das Risiko tatsächlich verringern
Dieser fortlaufende Zyklus stellt sicher, dass Verteidiger ihre Ressourcen dort einsetzen, wo sie die größte Wirkung erzielen, und ihre Maßnahmen an das tatsächliche Verhalten von Angreifern sowie messbare Geschäftsergebnisse anpassen.
Schlussfolgerung
Das Umdenken im Expositionsmanagement ersetzt Quantität durch Kontext und reine Sichtbarkeit durch tiefes Verständnis.
Unternehmen, die wie Angreifer denken, Zusammenhänge zwischen Expositionen erkennen, Schwachstellen in ihrer Umgebung identifizieren und ihren Fokus auf die Wege zu kritischen Ressourcen legen, erzielen nachhaltige und messbare Verbesserungen ihrer Sicherheitslage.
Expositionsmanagement bedeutet nicht, alles zu finden – es bedeutet, Expositionen so zu priorisieren, wie es ein Angreifer tun würde.
Bild/Quelle: https://depositphotos.com/de/home.html
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