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Wie nationale KI-Clouds die Demokratie untergraben

6. Oktober 2025

Nach einem Bericht des Nachrichtenportals Tech Policy + Weltweit investieren Regierungen Milliarden in sogenannte souveräne KI- und Rechenprogramme. Kanada stellt bis zu zwei Milliarden CAD bereit, das Vereinigte Königreich über zwei Milliarden Pfund, und die Vereinigten Arabischen Emirate verfolgen mit einer 13 Milliarden AED schweren Digitalstrategie eine eigene Cloud-Partnerschaft. Ziel dieser Initiativen ist es, kritische Daten zu schützen und technologische Unabhängigkeit zu fördern. Öffentlich wird dies mit dem Schutz nationaler Sicherheit und der Stärkung wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit begründet – doch dieser Drang nach digitaler Souveränität birgt Risiken für die Demokratie.

Souveräne digitale Infrastrukturen sollen staatliche Autonomie sichern, Datenresidenz und Cybersicherheit verbessern und gesetzliche Vorschriften einhalten. Ohne klare Aufsicht, Transparenz und Ausstiegsmöglichkeiten für Anbieter droht jedoch die Entstehung undurchsichtiger Machtzentren. Die Verbreitung nationaler KI-Clouds führt so zu einer neuen Form unkontrollierter Macht: einer engen Verflechtung von staatlicher Autorität und Unternehmensinteressen in intransparenten öffentlich-privaten Partnerschaften. Diese Strukturen bündeln Überwachungs- und Entscheidungsgewalt jenseits demokratischer Kontrolle und schwächen die bürgerliche Souveränität.

Das Kernproblem liegt in der Governance. Souveräne Plattformen agieren zunehmend wie quasi-staatliche Einrichtungen, deren Einfluss weit über den Betrieb von Rechenzentren hinausgeht. Verträge mit Technologiekonzernen umfassen häufig auch die Verwaltung zentraler Datenebenen ganzer Staaten. In Frankreich etwa betreiben Capgemini und Orange die „Bleu Cloud de Confiance“ für regulierte Sektoren, während in Abu Dhabi Microsoft und Core42 die staatlich gelenkte souveräne Cloud-Infrastruktur aufbauen. Solche Vereinbarungen bleiben meist intransparent und entziehen sich der parlamentarischen Kontrolle – ein Nährboden für algorithmische Einflussnahme, die wirksame Aufsicht erschwert. Entsteht so eine Schatten-Governance, entscheiden kleine Gruppen aus Beamten und Unternehmensvertretern über Bürgerdaten.

Dieser Trend zeigt sich weltweit. In Europa etwa versucht das Projekt GAIA-X, der Dominanz außereuropäischer Hyperscaler entgegenzuwirken, während in Asien und im Nahen Osten ähnliche Programme entstehen – oft mit noch weniger Rechenschaftsmechanismen. Diese Systeme verarbeiten sensible Daten wie Gesundheits-, Steuer- und Bildungsinformationen oder Sozialdaten. In einigen Ländern werden biometrische Datenbanken mit KI-Clouds verknüpft, um prädiktive Polizeialgorithmen oder Stimmungsauswertungen in sozialen Medien zu betreiben. Damit entstehen zentralisierte Datenpools mit erheblichem Missbrauchspotenzial – etwa zur politischen Kontrolle oder gesellschaftlichen Bewertung – bei gleichzeitig schwacher Kontrolle.

Wenn Transparenz und Aufsicht fehlen, bedroht die Machtkonzentration grundlegende Freiheitsrechte. Da diese Plattformen zunehmend zur Standardinfrastruktur öffentlicher Dienste werden, normalisieren sie Überwachung als Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Die Grenzen zwischen staatlicher Sicherheit, wirtschaftlichen Interessen und individueller Privatsphäre verschwimmen. In schwächeren Demokratien, in denen eine einzige staatlich sanktionierte Plattform über Daten und Analysealgorithmen verfügt – etwa die SDAIA National Data Governance Platform in Saudi-Arabien – kann dies zur Unterdrückung abweichender Meinungen führen. Die Folge ist ein Klima der Selbstzensur und gesellschaftlichen Konformität, in dem offene Debatten, Grundlage jeder Demokratie, zunehmend unterdrückt werden.

Besonders gefährlich ist der Aufstieg einer dauerhaften, nicht gewählten Techno-Bürokratie. Diese hybriden Einrichtungen entziehen sich demokratischem Druck; ihre technische Komplexität erschwert öffentliche Kontrolle und journalistische Prüfung. Unternehmenspartner handeln zudem nach den Interessen ihrer Aktionäre – so schüttete Microsoft im zweiten Quartal 2025 rund 9,7 Milliarden US-Dollar an Dividenden und Aktienrückkäufe aus, während gleichzeitig der Ausbau souveräner Cloud-Infrastrukturen vorangetrieben wurde. Damit wächst die Gefahr, dass Staaten zwar geopolitische Abhängigkeiten abbauen, gleichzeitig aber neue, inländische Abhängigkeiten schaffen – schwerer kontrollierbar und demokratisch kaum angreifbar.

Um die demokratische Kontrolle über die digitale Zukunft zu sichern, ist ein neues Governance-Rahmenwerk notwendig.

Erstens sollten unabhängige Aufsichtsgremien geschaffen werden, besetzt mit Experten aus Technik, Recht, Ethik und Zivilgesellschaft. Diese müssen befugt sein, Algorithmen zu prüfen, Datenverstöße zu untersuchen und Grundrechtsverstöße zu sanktionieren. Ihre Erkenntnisse sollten öffentlich zugänglich sein. Kanada bietet mit seiner Richtlinie zur automatisierten Entscheidungsfindung ein Beispiel: Sie verpflichtet Behörden zu algorithmischen Folgenabschätzungen, Transparenz und Rechtsbehelfen, überprüft durch ein unabhängiges Gremium.

Zweitens darf keine souveräne Cloud ohne gesetzliche Datencharta betrieben werden. Diese Charta muss Bürgerrechte gegen algorithmische Diskriminierung festschreiben, Grenzen für Datennutzung definieren und Beschwerdeverfahren verankern. Das Recht auf Datenportabilität – wie in Artikel 20 der DSGVO – sollte als zentrales Bürgerrecht verankert werden, um Anbieterwechsel zu ermöglichen und Machtkonzentration zu verhindern.

Drittens ist internationale Zusammenarbeit nötig, um gemeinsame Standards für die Interoperabilität souveräner Clouds zu schaffen. Offene Standards und Portabilität verhindern Monopole und sichern Wettbewerb. Vorbilder sind etwa die britischen G-Cloud-Vertragsvorlagen oder das EUCS-Cloud-Cybersicherheitszertifizierungssystem, das harmonisierte Sicherheitsniveaus festlegt und den Anbieterwechsel erleichtert. Nationale Zertifizierungen wie die französische ANSSI-Qualifikation sollten als Mindeststandard gelten, um Datenschutz und demokratische Rechenschaftspflicht zu gewährleisten.

Schließlich müssen souveräne KI-Systeme dem öffentlichen Interesse dienen. Ihre Ziele, Wirkungen und Leistungen sind messbar und öffentlich zu dokumentieren. Nur so lässt sich sicherstellen, dass KI zur Verbesserung von Gesundheit, Klimaresilienz und Gemeinwohl beiträgt – statt staatlicher Kontrolle oder Konzerninteressen. In öffentlich-privaten Partnerschaften sollten klare Eingriffsrechte, Haftungsregelungen und Notfallklauseln verankert werden, um essenzielle Dienste im Krisenfall zu sichern.

Die Zukunft der Demokratie hängt davon ab, wie souveräne Technologien geregelt werden. Derzeit stärkt ihr Ausbau staatliche Macht zulasten öffentlicher Kontrolle – ein gefährlicher Kurs, der demokratische Institutionen unterminieren kann. Nötig ist ein Paradigmenwechsel: weg vom technologischen Nationalismus, hin zu digitalen Infrastrukturen, die leistungsfähig, transparent und gegenüber den Bürgern rechenschaftspflichtig sind. Es geht nicht nur um digitale Unabhängigkeit – sondern um den Erhalt der digitalen Demokratie selbst.

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Bild/Quelle: https://depositphotos.com/de/home.html

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