Mit „SAP Grow“ bietet der Software-Hersteller ein neues kommerzielles Paket ausschließlich für Public-Cloud-Lösungen. Was es damit auf sich hat und wie die Deutschsprachige SAP-Anwendergruppe e. V. (DSAG) SAP Grow bewertet, erläutern Thomas Henzler, DSAG-Fachvorstand Lizenzen, Service & Support, und Sebastian Westphal, DSAG-Technologievorstand, in einem Q&A.
Was ist SAP Grow?
Thomas Henzler: Grow ist ein weiteres kommerzielles Bundle neben Rise with SAP. Im Kern beider Angebote steht das Enterprise-Resource-Planning (ERP)-System S/4HANA. Mit Rise with SAP wurde im Jahr 2021 ein kommerzielles Paket geschaffen, das sich sehr stark auf den Wechsel in die S/4HANA-Cloud für Bestandskunden fokussierte. Im Kern stehen dabei die Private-Cloud- sowie die Public-Cloud-Lösungen von S/4HANA. Ergänzt werden diese im Bundle durch Lösungen von Signavio, um die Transformation von vorherigen SAP-ERP-Versionen in die neue S/4HANA-Welt zu unterstützen. Sehr häufig haben sich Unternehmen in diesem Kontext für die Private-Cloud-Edition von S/4HANA entschieden.
Mit Grow hat SAP ein Angebot geschaffen, das sich primär an Neukunden aus dem Mittelstand richtet. Dazu zählen auch Unternehmen, die z. B. eine ERP-Einführung für eine Tochtergesellschaft planen und somit eine sogenannte Zwei-Tier-Landschaft abbilden möchten. Gerade hier scheint SAP die Möglichkeit zu sehen, Public-Cloud-Lösungen zu platzieren. Den Kern von Grow bildet S/4HANA Public Cloud. Ergänzt wird diese – ähnlich wie bei Rise with SAP – um Cloud-Services.
Während bei Rise with SAP allerdings der Fokus der zusätzlichen Services eher auf Lösungen rund um Migration und Transformation bestehender SAP-Systeme liegt, werden bei Grow vorwiegend Unternehmen adressiert, die sich für einen Greenfield-Approach entschieden haben. So werden hierbei anstatt der Signavio-Lösungen Produkte als Ergänzung angeboten, wie SAP Build Process Automation, das für Workflow-Management oder für Robotic-Process-Automation (RPA) eingesetzt wird.
An wen richtet sich das SAP-Angebot?
Thomas Henzler: Grundsätzlich sind alle Unternehmen angesprochen, die eine Public-Cloud-Lösung in Betracht ziehen. Interessiert ist SAP allerdings insbesondere an Neukunden. Unternehmen sollten jedoch sehr genau prüfen, ob die Public-Cloud-Lösung die prozessualen Anforderungen erfüllen kann. Denn pauschal lässt sich nicht über die Unternehmensgröße aussagen, wie komplex die bestehenden Prozesse tatsächlich sind. In der Vergangenheit setzten insbesondere deswegen Kunden auf On-Premise- oder Private-Cloud-Editionen, weil hier mehr Transparenz und Klarheit herrscht und sich diese Systeme über Jahre erfolgreich bewährt haben.
Wie schätzt die DSAG die SAP-Zielsetzung für SAP Grow ein?
Thomas Henzler: Grundsätzlich unterstützen wir als DSAG alles, was Unternehmen hilft, SAP-Systeme einfacher und schneller einzuführen. Unabhängig von kommerziellen Paketen wie Rise und Grow darf es jedoch nicht passieren, dass On-Premise- oder Private-Cloud-Lösungen zugunsten von Public-Cloud-Lösungen bei der Lieferung von Innovationen benachteiligt werden. Dies passt nahtlos zur bekannten Haltung der DSAG: Cloud ja, Cloud-only nein. SAP hat ein sehr breites Spektrum an Kundenunternehmen mit verschiedensten Anforderungen – von gesetzlichen Regularien bis zu notwendiger prozessualer Individualität. Dementsprechend kann und darf es beim ERP keine Einbahnstraße in Richtung Public Cloud geben und es dürfen auch nicht bestimmte Produkte in der Entwicklung bevorzugt werden.
Sebastian Westphal: Das Anker-Release von S/4HANA, das im Oktober dieses Jahres verfügbar sein wird, muss ungeachtet von Grow die Basis für die Technologie der nächsten Generation bilden. Die Kundenunternehmen sind seit der Markteinführung 2015 einen weiten Weg gemeinsam mit SAP gegangen und haben die Implementierung mit erheblichem finanziellem Engagement begleitet. Auch wenn Grow nur die Public-Cloud-affine Kundengruppe anspricht, betreibt der Großteil der SAP-Bestandskunden seine SAP-Systeme On-Premise oder in der Private Cloud. Das neue Angebot darf daher wie erwähnt nicht bedeuten, dass Innovationen und Erweiterungen nur noch in der Public Cloud erfolgen. Hier bedarf es daher noch weiterer Details und verbindlicher Zusagen von SAP, um die S/4HANA-Projektinvestitionen zu sichern.
Wie beurteilt die DSAG insgesamt das Angebot Grow?
Thomas Henzler: Für Neukunden aber sicherlich auch Bestandskunden, die auf eine S/4HANA-Public-Cloud-Lösung setzen wollen, ist Grow auf Basis der aktuell verfügbaren Informationen ein kommerziell attraktives Angebot. Doch es braucht auch ausreichend Berater:innen, um diese Lösungen einzuführen. Derzeit fokussiert der Beratermarkt verstärkt On-Premise- und Private-Cloud-Lösungen. Insofern ausreichend qualifizierte Berater:innen nicht verfügbar sind, wird es für Grow bzw. die S/4HANA Public Cloud schwierig, sich am Markt durchzusetzen.
Sebastian Westphal: SAP muss ihre Kunden hinreichend bei der Implementierung unterstützen. Damit Unternehmen das neue Angebot annehmen, wird insbesondere in Zeiten sich massiv verändernder Software-Landschaften ein Betriebs- und Preismodell benötigt, das für Unternehmen attraktiv ist, die heute vielfach On-Premise-Systeme einsetzen. Nur so sind die Unternehmen flexibel genug, um die digitale Transformation umsetzen zu können. Das würde die Adaption von Grow sicherlich substanziell unterstützen. Zudem gilt es – gerade für die im Fokus des Angebots stehenden Neukunden – die Komplexität möglichst gering zu halten im Hinblick auf industriespezifische Szenarien und die Erweiterung der vorkonfigurierten Prozessketten. Zudem muss bei der Einführung von S/4HANA Public Cloud verstärkt in Richtung der SAP Business Technology Platform (BTP) gedacht werden, um z. B. die hochgradig standardisierte S/4HANA Public Cloud zu erweitern. Das erhöht die Komplexität und die Anforderungen an die notwendigen technischen Fähigkeiten, die ein strukturiertes Enablement verlangt.
Was erwartet die DSAG in punkto Lizenzierung von SAP Grow?
Thomas Henzler: Das Lizenzmodell soll auf Full-User-Equivalents (FUE) basieren. Die FUE entsprechen der tatsächlichen Anzahl von Personen, die berechtigt sind, auf bestimmte Lösungen in der S/4HANA-Cloud zuzugreifen. Das ist aus Anwendersicht in Ordnung. Es wird zwei unterschiedliche Editionen geben: Premium und Basic. Je nach Paket sind verschiedene Bestandteile enthalten. Hier müssen Kunden entsprechend ihren Bedarfen entscheiden, welche Edition für sie am besten passt.
Was müsste Grow inhaltlich und kommerziell bieten, damit Anwenderunternehmen es nutzen?
Thomas Henzler: Im Kontext von Public Cloud und damit Grow steht und fällt alles mit der Frage, ob die prozessualen Anforderungen der Unternehmen abgedeckt werden können. Hier muss SAP ihren Kund:innen Sicherheit vermitteln und offen kommunizieren, was möglich ist – und was nicht. Zudem muss der zeitliche Rahmen klar sein, wann und ob etwas zukünftig realisiert wird. Und die rechtlichen Rahmenbedingungen müssen berücksichtigt werden.
Sebastian Westphal: Für Neukunden, die ein vorkonfiguriertes ERP mit geringem Individualisierungsbedarf bspw. aufgrund ihrer Fertigungs- und Produktionsprozesse nutzen, ist Grow sicherlich ein attraktives Angebot. Die Realität zeigt aber, dass im Laufe der Weiterentwicklung von Unternehmen die Anforderungen an die Systeme steigen und die Komplexität der Prozesse zunimmt. Entsprechend benötigen Unternehmen Klarheit über bestehende Funktionalitäten und hinsichtlich des Migrationsfades von Grow in die private oder souveräne Cloud. Aus DSAG-Sicht sind das kritische Erfolgsfaktoren. Nur wenn ein Wechsel zwischen den beiden Angebotswelten technisch und kommerziell ohne großen Aufwand möglich ist, kann das Angebot den gewünschten Nutzen bringen. Dementsprechend brauchen Anwenderunternehmen klarere und detailliertere Informationen, wie diese Migrationspfade aussehen und welche Services mit welchem Automatisierungsgrad das neue Angebot für diese Szenarien bereithalten wird. Denn wir gehen davon aus, dass SAP nicht nur Start-ups und neu gegründete Unternehmen mit Grow ansprechen wird, sondern auch heutige Bestandskunden, die ein SAP-ECC- oder ein Business ByDesign-System einsetzen.
Wie wünscht sich die DSAG die weitere Zusammenarbeit hinsichtlich Grow?
Thomas Henzler: Die Herausforderung ist, dass Rise und Grow zwei augenscheinlich identischen Produkte sind, sich letztendlich aber doch unterscheiden. Hier ist SAP gefordert, die Kundenunternehmen aufzuklären und Beispiele zu liefern, wie z. B. die häufig propagierten Erweiterungen auf der Business Technology Platform aussehen können. Mit ihren mehr als 200 Arbeitskreisen und -gruppen bietet die DSAG hier ein gutes Forum zum Austausch und zur Wissensvermittlung.
Thomas Henzler, DSAG-Fachvorstand Lizenzen, Service & Support
Sebastian Westphal, DSAG-Fachvorstand Technologie
Über die DSAG
Die Deutschsprachige SAP-Anwendergruppe e. V. (DSAG) ist einer der einflussreichsten Anwenderverbände der Welt. Mehr als 3.800 Mitgliedsunternehmen bilden ein starkes Netzwerk, das sich vom Mittelstand bis zum DAX-Konzern und über alle wirtschaftlichen Branchen in Deutschland, Österreich und der Schweiz (DACH) erstreckt. Auf Basis dieser Reichweite gewinnt der Industrieverband fundierte Einblicke in die digitalen Herausforderungen im DACH-Markt. Die DSAG nutzt diesen Wissensvorsprung, um die Interessen der SAP-Anwender zu vertreten und ihren Mitgliedern den Weg in die Digitalisierung zu ebnen.
Weitere Informationen finden Sie unter:
www.dsag.de, www.dsag.at, www.dsag-ev.ch