
Funklöcher in ländlichen Gebieten, fehlende technische Ausstattung an den Schulen, Behörden, die via Fax kommunizieren: Mit der Digitalisierung in Deutschland steht es nicht gerade zum Besten. Laut dem IMD Digital Competitiveness Index 2021 ist das Land von Platz 15 im Jahr 2016 auf Platz 18 abgerutscht. Was muss passieren, damit Deutschland zu globalen Spitzenreitern wie den USA, Hong Kong, Schweden oder Dänemark aufschließen kann?
Dabei hat die Corona-Pandemie gezeigt, was möglich ist, wenn der Alltag plötzlich nicht mehr wie gewohnt funktioniert. Quasi über Nacht mussten Unternehmen ihre Belegschaft für das digitale Arbeiten von zuhause aus fit machen. In Schulen wurde Home-Schooling zur Pflicht – allerdings mit zum Teil erheblichen Anlaufschwierigkeiten. Arztpraxen entdeckten die Möglichkeit, Sprechstunden online abzuhalten, und die Behörden öffneten sich für neue kontaktlose Bezahlmöglichkeiten. Pandemiebedingt machte Deutschland innerhalb weniger Wochen einen digitalen Entwicklungssprung oder versuchte zumindest zu springen.
Viele Impulse statt einer sinnvollen Strategie
Impulse von staatlicher Seite, die Digitalisierung zu beschleunigen und einheitliche Grundlagen zu schaffen, gibt es genügend. Mit dem DigitalPakt Schule unterstützt der Bund beispielsweise Länder und Gemeinden dabei, Schulen mit zeitgemäßer Technologie auszustatten sowie Lehrern und Schülern die nötigen digitalen Kompetenzen zu vermitteln. Im Rahmen des Krankenhauszukunftsgesetzes stellte das Bundesgesundheitsministerium letztes Jahr drei Milliarden Euro bereit, „damit Krankenhäuser in moderne Notfallkapazitäten, die Digitalisierung und ihre IT-Sicherheit investieren können.“ Regionale Gesetzesentwürfe wie das bayerische Digitalgesetz definieren unter anderem die Digitalisierungsaufgaben des Freistaats wie die Förderung digitaler Technologien oder die entsprechende Transformation der Verwaltung. Bürgerinnen und Bürger sollen zudem wesentliche digitale Rechte erhalten. Auf europäischer Ebene beschloss das Europäische Parlament Anfang letzten Jahren einen Vorschlag für den Digital Services Act (Gesetz über digitale Dienste). Leitgedanke dieser Verordnung sind gemeinsame europäische Regeln für den Umgang mit strafbaren Inhalten durch die Betreiber von Internetplattformen. Dadurch soll es vor allem für Behörden leichter werden, illegale Aktivitäten auf Plattformen zu bekämpfen.
Maßnahmen wie diese mögen in ihren jeweiligen Bereichen erfolgreich sein. In Hinblick auf eine umfassende Digitalstrategie für Deutschland und später auch für Europa sind sie jedoch nicht mehr als Stückwerk: Lose koordinierte Aktivitäten, bei denen Behörden ihre Informationen trotzdem immer noch per Fax austauschen, während andererseits global agierende High-Tech-Unternehmen ihre internationalen Meetings mittels VR-Brillen abhalten. Ein homogener digitaler Lebensraum sieht anders aus.
Den digitalen Wandel als Sprungbrett nutzen
Schon seit einigen Jahren schreitet die Digitalisierung mit großen Schritten voran und hat in vielen Bereichen einen fundamentalen Wandel in Gang gesetzt, der weit über Homeoffice und Home-Schooling hinausgeht. Neue Technologien wie Künstliche Intelligenz, Blockchain, digitale Plattformen, Big Data oder das Internet der Dinge ermöglichen völlig neue Geschäftsmodelle, die Wertschöpfungsketten, Arbeitsprozesse und Unternehmensstrukturen grundlegend verändern. Das wird auch für den Alltag der Mitbürger nicht ohne Folgen bleiben.
Damit Arbeit und Alltag auch in der Zukunft lebenswert bleiben, bedarf es eines gesamtgesellschaftlichen Rahmens, der eine homogene digitale Entwicklung unterstützt, sodass sich der digitale Wandel für den Standort Deutschland als Sprungbrett für langfristigen wirtschaftlichen Fortschritt und Wohlstand erweist. Dazu bedarf es jedoch einer Gesamtstrategie, die die bereits vorhandene Vielzahl gut gemeinter Einzelaktionen zu einer sinnvollen, durchsetzungskräftigen Strategie vereint. Dieser Digitalplan sollte nicht nur den technologischen Fortschritt und die wirtschaftlichen Auswirkungen im Blick haben, sondern vor allem auch die Menschen berücksichtigen, die in der neuen digitalen Welt nicht nur arbeiten und leben, sondern sich vor allem wohlfühlen müssen. Wer glaubt, dass sich digitales Potenzial bereits mit einem Online-Formular und einer App für das Vereinbaren von Online-Terminen erschöpft, der unterschätzt die Kraft des digitalen Wandels, die nach der Entwicklung der Sprache und den Erfindungen von Schrift und des Buchdrucks gerne auch als die vierte Medienrevolution der Menschheit bezeichnet wird.
Deshalb ist Digitalisierung nicht allein als Angelegenheit von Ministerien, Behörden, Kommunen oder Unternehmen anzusehen. Sie geht alle etwas an, ganz besonders die Bürgerinnen und Bürger, die mit den verabschiedeten Gesetzen und Verordnungen leben müssen. Ihre Meinungen zählen und müssen deswegen vor dem Aufsetzen und Implementieren eines Digitalplans gehört und berücksichtigt werden. Unternehmen und Behörden werden präzise überlegen müssen, wie der digitale Alltag für den Einzelnen funktionieren soll. Welche Tools und welche Lösungen sollen zum Einsatz kommen und vor allem warum? Denn nicht jede an sich geeignete Technologie wird sich durchsetzen. Der digitale Wandel kann nur dann eine Chance haben, wenn er auch von den Menschen angenommen wird, die mit den neuen Technologien Tag für Tag umgehen und arbeiten müssen. Neben den IT-Fachkräften sind das vor allem all die anderen. Nennen wir sie Max und Martina Mustermann.
Autor: Ari Albertini, Chief Operating Officer, FTAPI Software GmbH, Spezialist für sichere Datenflows
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