Nachfolger für SAP Patientenmanagement (IS-H) von T-Systems Austria
Im Oktober 2022 hatte SAP angekündigt, keine eigene Lösung einer möglichen zukünftigen Patientenabrechnung auf S/4HANA zu entwickeln und als SAP auch keine Nachfolgelösung bereitzustellen. Diese Lücke will T-Systems Austria nun für österreichische und Schweizer Kliniken schließen und ab 2025 einen Nachfolger zur bisherigen SAP-ECC-basierten SAP-Branchenlösung Patientenmanagement (IS-H) auf der neuen S/4HANA-Technologie zur Verfügung stellen. SAP unterstützt diese Anstrengungen durch eine entsprechende Lizenzvereinbarung für qualifizierte Partner wie T-Systems Austria. Aus Sicht der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe e. V. (DSAG) ist diese Ankündigung begrüßenswert. Allerdings nimmt sie nur einen Teil des Drucks, der auf Kliniken und Krankenhäusern lastet.
Anwenderunternehmen mit großer Ungeduld erwartet. „SAP hat im Oktober 2022 die eigene Entwicklung einer neuen Lösung für die Patientenabrechnung eingestellt. Seither müssen sich allein in Österreich 22 Krankenhausträger umorientieren“, sagt Walter Schinnerer, DSAG-Fachvorstand Österreich und ergänzt: „Betroffen sind somit mehr als 95 Prozent aller in Österreich behandelten Patientinnen und Patienten im stationären und ambulanten Bereich. Ohne eine neue Lösung für die Patientenabrechnung auf einer moderneren Plattform als das heute 30 Jahre alte SAP ECC, das 2027 bzw. 2030 aus der Wartung läuft, können keine Patientinnen und Patienten aufgenommen, keine Leistungen beschrieben, keine Entlassungen vollzogen und keine Abrechnung durchgeführt werden.“ Dieses Szenario im Hinterkopf, kommt die Ankündigung von T-Systems Austria aus DSAG-Sicht genau zur richtigen Zeit. Denn sie bedeutet vor allem eins: Planungssicherheit.
Langjährige DSAG-Forderung erfüllt
„Diese Planungssicherheit haben wir in den vergangenen Jahren seitens SAP vermisst“, kritisiert der Ländervorstand. Die IS-H-Lösung integriert in S/4HANA anzubieten, um sie somit auch weiterhin On-Premise, also im kundeneigenen Rechenzentrum betreiben zu können, war eine langjährige DSAG-Forderung an SAP. „Sie ist aus Sicht der betrieblichen Anforderungen und vorhandenen Ressourcen sehr begrüßenswert, da viele Unternehmen bereits Teams für den Betrieb von S/4HANA ausgebildet haben und somit keine neuen Skills für andere Architekturen aufbauen müssen“, so Walter Schinnerer. Auch ist der für viele Krankenhäuser noch nicht mögliche Gang in eine Cloud-Lösung dadurch aus Sicht der DSAG obsolet und es kann gewartet werden, bis die Rechtslage für die Verarbeitung von personenbezogenen Daten in einer Cloud entsprechend angepasst wurde bzw. genügend Praxiserfahrung mit Cloud-Lösungen in kritischen Branchen gesammelt wurden.
Erfreulich ist, dass die DSAG-Forderung nun durch einen langjährigen SAP-Partner erfüllt wird. Allerdings ist damit auch bewiesen, dass die SAP-Aussage, neue Lösungen ausschließlich auf der SAP Business Technology Platform (SAP BTP) bauen zu können, nicht zutrifft. Mit T-Systems Austria haben viele Häuser in Österreich und in der Schweiz in den vergangenen Jahrzehnten gute Erfahrungen gemacht. Der Anbieter ist bereits als bisheriger Lokalisierungspartner für die Länderversionen der SAP-Healthcare-Branchenlösung für Österreich und die Schweiz aufgetreten und kann hier, so die Einschätzung der DSAG, auf fundiertes Wissen zurückgreifen. Mit der Unterstützung der AT Solution Partner GmbH (ATSP) arbeitet ein weiterer erfahrener Partner an der neuen Lösung mit, welcher bereits langjährige Erfahrung in beiden Ländern besitzt.
Länderspezifika erschwerten Suche nach IS-H-Nachfolgelösung
Aufgrund zahlreicher Länderspezifika hat die IS-H-Abkündigung die Häuser in Österreich und in der Schweiz besonders hart getroffen. Die Patientenabrechnung unterscheidet sich hinsichtlich ihrer Komplexität in diesen beiden Ländern von Deutschland. Eine weitere Herausforderung liegt laut Walter Schinnerer darin, dass IS-H sehr eng mit dem von vielen Häusern verwendeten Krankenhausinformationssystem (KIS) i.s.h.med von Oracle Cerner verknüpft ist. „Mit i.s.h.med werden die medizinischen Daten der Patientinnen und Patienten erfasst – von der Anamnese über die Therapie bis zur Nachbehandlung. Aber Oracle Cerner wird den Support für das KIS ebenso einstellen. Oracle Cerner bietet seinen Kunden zwar unter bestimmten Bedingungen eine Verlängerung der Wartung bis 2035 an und hat angekündigt eine Nachfolgelösung für i.s.h.med auf den Markt zu bringen“, so Walter Schinnerer, „bis wann diese Lösung aber einen vollständigen Ersatz der i.s.h.med-Funktionen aufweist, ist derzeit noch völlig unklar.“
Drei Großprojekte in wenigen Jahren
Unabhängig von IS-H und i.s.h.med stehen Kliniken und Krankenhäuser vor einer weiteren Hürde. Auch das SAP-Enterprise-Resource-Planning (ERP)-System muss durch SAP S/4HANA ersetzt werden. Hier hat SAP die Wartung ebenfalls nur bis 2027 zugesichert und stellt darüber hinaus eine kostenpflichtige Extended Maintenance bis 2030 bzw. eine eingeschränkte (Customer-specific) Wartung über diesen Zeitraum hinaus zur Verfügung. „Mit dem SAP-ERP-System steuern die Häuser ihre Finanzbuchhaltung, Kostenrechnung und Materialwirtschaft. Solche Systeme lassen sich nicht so leicht – und schon gar nicht in kurzer Zeit ersetzen“, ordnet Walter Schinnerer ein. Aufgrund der neuen strategischen Ausrichtung von SAP und der derzeit noch unklaren Roadmap für die Bereitstellung etwaiger Nachfolgelösungen wurden laufende S/4HANA-Projekte bei einigen Krankenhäusern gestoppt.
Dementsprechend müssten Kliniken und Krankenhäuser, um eine kostenintensive Extended Maintenance zu umgehen, binnen drei Jahren IS-H, i.s.h.med und ihr SAP-ERP-System ersetzen. „Dieser Zeitplan ist nicht nur sehr ambitioniert, sondern schlicht unrealistisch. Allein für die Ausschreibung einer IS-H-Nachfolgelösung fallen rund zwei Jahre an. Dann fehlen noch Implementierung, notwendige Anpassungen und Datenmigration“, fasst der DSAG-Experte zusammen. Hinzu kommt, dass Unternehmen bezüglich des Ersatzes der Patientenmanagement-Lösung erst jetzt anfangen können mit T-Systems Austria zu planen und sie wird auch frühestens Ende 2025 zur Verfügung stehen. Denn schließlich gab es die Nachfolgelösung bis vor Kurzem nicht. Und es muss zunächst geprüft werden, ob sie auch wirklich hält, was der Dienstleister verspricht.
Investitionsschutz gesichert
„Wir erwarten, dass die Lösung den Krankenhäusern und Kliniken ermöglicht, kundenspezifische Erweiterungen mit möglichst wenig Anpassungs- und Migrationsaufwand in die S/4HANA-Landschaft zu übernehmen“, so Walter Schinnerer. Aus DSAG-Sicht stellt das einen Investitionsschutz dar, den die Anwenderunternehmen nach der IS-H-Abkündigung schon verloren geglaubt hatten. Denn bei alternativen Lösungen auf der BTP, wie sie SAP propagiert, müssten die Kundenerweiterungen neuprogrammiert werden. Darüber hinaus konnten grundlegende Aufgabenstellungen, wie z. B. der Umgang mit personenbezogenen Gesundheitsdaten auf der SAP BTP, durch SAP bzw. deren Partner noch nicht ausreichend beantwortet werden.
Extended Maintenance ohne Aufpreis
„Wenngleich die neue Lösung ab 2025 verfügbar sein soll, wird es sicherlich schwierig für T-Systems Austria und alle betroffenen Häuser, vor Ende der Mainstream-Wartung für IS-H im Jahr 2027 migriert zu haben. Schließlich geht damit auch eine vorangegangene S/4HANA-Einführung einher“, sagt Walter Schinnerer. Vielen Krankenhäusern und Kliniken droht somit die erwähnte kostenintensive Extended Maintenance bis ins Jahr 2030. „Da SAP die eigene Branchenstrategie geändert hat, sollte der Software-Hersteller jetzt etwas dafür tun, das Vertrauen der Kunden nicht gänzlich zu verlieren. Ein erster Schritt wäre es, die Extended Maintenance ohne Aufpreis für die Fortsetzung des Einsatzes der bisherigen Branchenlösung SAP Patientenmanagement (IS-H) anzubieten“, fordert der DSAG-Fachvorstand. Das würde den Kunden Zeit verschaffen und gleichzeitig die bereits erschöpften finanziellen Ressourcen nicht zusätzlich strapazieren. Darüber hinaus wäre aus Sicht der DSAG wünschenswert, dass T-Systems Austria die neue Lösung auch für den deutschen Markt anbietet. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es diesbezüglich jedoch noch keine offizielle Information.